Work-Life-Balance war eines der Trendwörter der letzten Jahre. Und noch immer liest und hört man überall von ihr – von der Balance zwischen Leben und Arbeit. Arbeitnehmer fordern sie, Arbeitgeber versprechen sie, Gewerkschaften verteidigen und Medien propagieren sie. Dies ist ein Plädoyer gegen dieses unsägliche Wort, das auf einem grundlegend unsinnigen Verständnis von unserem Leben basiert.
Aus welchem Grund vergeht die Zeit, die wir mit Dingen verbinden, die mit Arbeit zu tun haben, so viel langsamer als die Dinge, die mit unserer Freizeit zu tun haben? Menschen haben in diversen Situationen sowie in verschiedenen Lebensabschnitten eine unterschiedliche Zeitwahrnehmung. Das Zeitgefühl ist nicht objektiv, sondern hängt maßgeblich von der subjektiven und emotionalen Bewertung einer Situation ab. Momente oder Zeitspannen, die besonders erlebnisreich oder mit starken positiven Emotionen besetzt sind, vergehen wie im Flug. Fragt uns jemand danach, wie der Urlaub war, lautet die Antwort oftmals: „Schön, aber viel zu kurz.“
Aber was bedeutet das in Bezug auf unser Arbeitsleben? Wenn nun die Mehrzahl der Menschen die Empfindung hat, dass die Zeit auf der Arbeit wesentlich langsamer verläuft als an anderen Orten bzw. in anderen Situationen, heißt das im Umkehrschluss, dass die meisten Menschen die Arbeit, die sie jeden Tag machen, als langweilig bewerten oder mit einem sehr negativen Gefühl konnotieren.
Für viele heißt die Antwort auf dieses Dilemma: Work-Life-Balance.
Aber wie sieht eine ausgewogene Work-Life-Balance eigentlich aus? Wir teilen unser Leben in zwei Lebensbereiche ein. Einem Menschen mit einer gesunden Work-Life-Balance, gelingt es diese beiden Bereiche unter einen Hut zu bringen, aber ist das wirklich eine gute Lösung?
Work-Life-Balance, das impliziert auch, dass es einen Ausgleich geben muss zwischen zwei Dingen, die sich gegenüberstehen und die nicht zusammengehören: Das schöne Leben und die böse Arbeit. Um die Arbeit zu ertragen, muss sie im Zaum gehalten werden, sie muss im Gleichgewicht stehen zu – ja, zu was eigentlich? Zum Leben? Ist denn die Arbeit etwa nicht Teil des Lebens? Gehört sie nicht dazu? Doch was für ein Leben ist das, in dem die Arbeit – mit der wir so viel Zeit verbringen – nicht ein Teil ist? In dem Arbeitszeit nicht als Lebenszeit zählt? Warum streben wir nach einer Balance – und nicht nach einem guten Leben, in dem alles stimmt?
In einem Beitrag zur Work-Life-Schizophrenie begründet Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler Philip Kovce die Trennung von Freizeit und Arbeit als Volkskrankheit. Allein diese Zweiteilung entwertet die Arbeit und somit uns selbst. Wir sprechen von einer Arbeit, die nicht zum Leben gehört und damit nicht als Lebenszeit gerechnet wird. Dadurch wird unsere schöne Lebenszeit immer kürzer und die Arbeit, die wir vollrichten, zu etwas Negativem.
„Streichen Sie die Begriffe Arbeitszeit und Freizeit aus Ihrem Wortschatz, ersetzen Sie diese durch Lebenszeit und fragen Sie sich: Macht das Sinn, was ich mache?“ Götz Werner
An unser Privatleben stellen wir hohe Ansprüche. Wir planen Abendaktivitäten, Wochenendausflüge, Reisen. Wir möchten unsere „freie“ Zeit gut nutzen und geniessen. Warum stellen wir nicht die gleichen Ansprüche an unser Berufsleben? Wieso fordern wir nicht ebenso vehement gute Arbeit? Wir sollten eine Arbeit anstreben, die zu unserem Leben, in unser Leben passt! Die es komplett macht, und nicht halbiert. Eine Arbeit, in der wir etwas bewegen können, uns einbringen, in der uns Wertschätzung entgegengebracht wird.
In Zeiten von New Work und Digitalisierung haben wir die große Chance, genau das zu tun: Die Arbeitswelt für und mit Menschen umzugestalten. Wir können und müssen uns fragen: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir arbeiten? Das kann uns zu einer selbstbestimmteren und flexibleren Arbeitswelt führen.
Nutzen wir die Chance! Es geht um unsere Lebenszeit!