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Peer recruiting

 

In modernen Unternehmen übernehmen Teams Verantwortung für ihre Arbeit. Sie organisieren sich selbst, bilden sich z.B. mit Peer Learning selbst fort, treffen Entscheidungen und gestalten Prozesse eigenständig. In Personalentscheidungen werden sie dagegen bisher nur sehr selten einbezogen. Einstellungen neuer Mitarbeitenden erfolgen fast ausschließlich durch die Personalabteilungen und das Management. Durch den Verzicht auf das sogenannte Peer Recruiting verschenken Unternehmen jedoch Chancen, Mitarbeitende zu finden, die optimal zu ihren Anforderungen und der Unternehmenskultur passen.

 

Was ist Peer Recruiting?

Der englische Begriff „peer“ bezieht sich auf Gleichgestellte – im Unternehmenskontext also nicht auf das Management, sondern auf die Kolleginnen und Kollegen. Mit Peer Recruiting ist gemeint, dass die Mitarbeitenden selbst über Neueinstellungen entscheiden und Bewerbungsgespräche führen.

In den meisten Unternehmen sind die Mitarbeitenden an den Einstellungsverfahren bisher nicht beteiligt. Personalabteilung und Management klären miteinander, welche Bereiche und Teams Verstärkung nötig haben und welche Anforderungen Bewerbende zu erfüllen haben. Auch die Auswahl geeigneter Potenziale ist ausschließlich ihnen überlassen. Teams erhalten allenfalls die Chance, sich im Rahmen einer kurzen Vorstellungsrunde ein Bild von ihren potenziellen neuen Kollegen und Kolleginnen zu machen. Peer Recruiting kann diesen Zustand ändern und sich auch im späteren Arbeitsalltag mit den „Neuen“ als ein wichtiger Produktivitätsfaktor erweisen.

 

Warum Sie Peer Recruiting in Ihrem Unternehmen einführen sollten

In einer offenen, modernen und zunehmend agilen Unternehmenskultur ist das klassische Einstellungsprozedere für neue Mitarbeitende nicht mehr wirklich zeitgemäß. Viele Teams arbeiten heute zum Beispiel in Form von Holacracy selbstorganisiert und übernehmen die komplette Verantwortung für ihre Arbeit. Es gibt also keinen Grund, sie nicht in Personalentscheidungen einzubeziehen, die sie unmittelbar betreffen. Zudem haben sie die Expertise für die Anforderungen, die sich aus einem bestimmten Job, aber auch aus den Beziehungen innerhalb des Teams für neue Mitarbeitende ergeben. Peer Recruiting ist eine hervorragende Möglichkeit, um für offene Stellen die fachlich und menschlich optimalen Potentiale auszuwählen.

 

Wie funktioniert Peer Recruiting?

Als Beispiel für konsequent praktiziertes Peer Recruiting kann das Unternehmen sipgate dienen. Der Düsseldorfer Telefonie-Anbieter hat sich schon sehr früh dafür entschieden, agile Strukturen zu etablieren. Seit 2010 organisieren die 130 Mitarbeitenden ihre Projekte und die Zusammenarbeit in Teams mit Scrum. Parallel zur agilen Organisation der Firma wurde bei sipgate Peer Recruiting eingeführt.

 Peer Recruiting bei sipgate funktioniert so, dass die Mitarbeitenden den gesamten Prozess der Mitarbeitendensuche eigenverantwortlich durchführen und gestalten. Die Teams übernehmen die Bedarfsplanung, erarbeiten Stellenprofile, sichten eingehende Bewerbungen, führen die Gespräche und wählen die geeigneten Kandidaten aus. Auch das Onboarding neuer Mitarbeitenden wird direkt von den Teams organisiert. Die beiden HR-Expertinnen in der Firma übernehmen dabei moderierende und beratende Funktionen. Team- oder Abteilungsleiter greifen schon deshalb nicht in das Peer Recruiting ein, weil entsprechende Positionen bei sipgate nicht mehr vorgesehen sind. 

Mit dieser Praxis folgt das Unternehmen der Maxime, dass Entscheidungen dort getroffen werden sollen, wo es sinnvoll ist – im Hinblick auf neue Mitarbeitende also direkt im Team. Hiermit ist in der Firma bzw. in den Teams ein permanenter Selbstverständigungsprozess verbunden. Wenn eine Stelle frei wird, erfolgt nicht automatisch eine Neubesetzung. Vielmehr diskutieren die Teams zunächst darüber, ob diese überhaupt erforderlich ist oder eine interne Neuaufstellung die bessere Lösung bietet. Für die Bearbeitung von Bewerbungen und die Auswahlgespräche mit Bewerber und Bewerberinnen gibt es eine Task Force. Die endgültige Entscheidung wird nach einem Probearbeitstag getroffen. Interessant ist in diesem Kontext die Art und Weise der Entscheidungsfindung. Vorgegeben sind weder Mehrheitsentscheidungen noch eine einstimmige Entscheidung. Vielmehr diskutieren die Teammitglieder, ob die oder der „Neue“ zu ihnen passt und wo es Probleme geben könnte. Die beiden HR-Mitarbeiterinnen des Unternehmens geben an, dass längere Diskussionen oft bereits darauf verweisen, dass eine Bewerberin oder ein Bewerber für den Job und für das jeweilige Team nicht optimal geeignet ist. In anderen Fällen finden Team und KandidatInnen sofort einen Draht zueinander, sodass alle Beteiligten von Anfang an begeistert sind.

 

Welche Vorteile hat Peer Recruiting?

Vorteile ergeben sich aus Peer Recruiting für das Unternehmen als Ganzes, für die Teams und auch für die Bewerber und Bewerberinnen. Hierzu gehören beispielsweise die folgenden Punkte:

    • Die Mitarbeitenden können am besten einschätzen, ob BewerberInnen gut ins Team passen oder nicht.
    • Sie sind die besten Advokaten des Unternehmens und der zu besetzenden Stelle. Ein solches Bewerbungsgespräch kann auf interessante KandidatInnen auch ausgesprochen überzeugend wirken. Zudem erfahren Bewerber und Bewerberinnen schon während des Gesprächs, was sie an ihrem künftigen Arbeitsplatz und in ihrem Team konkret erwartet.
    • Das Team übernimmt Verantwortung für die neu eingestellten Teammitglieder. Da sie selbst die Entscheidung über deren Einstellung getroffen haben, sind sie auch an einer schnellen Einarbeitung und guten Performance der neuen Mitarbeitenden interessiert. Auch Probleme können auf dieser Basis offen angesprochen werden.
    • Peer Recruiting zeigt, dass die Unternehmensleitung, das Management und die HR Vertrauen in ihre Mitarbeiterinnen und deren Entscheidungskompetenzen setzen.
    • Bewerbungen können im Rahmen von Peer Recruiting deutlich effizienter als in klassischen Einstellungsverfahren bearbeitet werden. Die Personalabteilungen gewinnen hierdurch Zeit und Ressourcen für strategische Personalarbeit sowie Personal- und Organisationsentwicklung.

Voraussetzungen und Herausforderungen für Peer Recruiting

Ganz voraussetzungslos ist effizientes Peer Recruiting natürlich nicht zu haben. Auch die Mitwirkung der Personalexperten an der Einstellung neuer Mitarbeitenden wird hierdurch alles andere als überflüssig. Vielmehr steigen die Anforderungen an ihr Einfühlungsvermögen und ihre strategischen Fähigkeiten. Zu ihren wesentlichen Aufgaben in einem solchen Einstellungsprozess gehört, das Peer Recruiting als Coaches zu unterstützen. 

Die Mitarbeitenden selbst müssen bestimmte Aspekte des Recruitings – beispielsweise das Führen und die Beurteilung strukturierter Interviews – erlernen und dazu bereit sein. Ebenso müssen sie ihre Rollen und Erwartungen in einem Bewerbungsverfahren klären. Für beides ist teamspezifische oder individuelle Unterstützung durch die Personalabteilung nötig, die vor allem am Anfang große Intensität erfordert.

Carla Pieper
Digital Learning Specialist
Carla begeistert sich für Trends, Themen und Best Practices im Bereich New Work, Digitalisierung und Diversity. Seitdem sie bei Babbel ist, gilt für sie beim Thema New Work: mittendrin statt nur dabei – nicht nur intern bei Babbel, sondern auch im Kontakt mit Geschäftskunden.